Kitzbüheler Radmarathon 2024: Steile Berge, Krämpfe und große Emotionen

Veröffentlicht von Justin Kraft am

Ich bin im September 2024 den Kitzbüheler Radmarathon gefahren – und habe ihn gefinisht. Hier kommt mein Erfahrungsbericht.

Achtung, das Ding wird sehr lang. Ich habe hier vor allem für mich selbst verarbeitet, was dieses Jahr alles passiert ist. Wenn für euch noch irgendetwas dabei ist, was ihr gern lest, dann umso besser. Aber nehmt etwas Zeit mit.

English version of this text.

Ich stehe am letzten Verpflegungspunkt. Etwas mehr als 200 Kilometer und über 3.000 Höhenmeter liegen hinter mir. Meine Beine krampfen seit Kilometer 170. Erst die Innenseiten beider Oberschenkel, dann auch noch die Waden. Eine Gruppe musste ich deshalb ziehen lassen, eine andere hat mich bis zum Verpflegungspunkt mitgezogen.

An diesem Verpflegungspunkt habe ich die Wahl: Entweder rolle ich noch ein paar flache Kilometer nach Kitzbühel und finishe damit die etwas einfachere Basisversion des Radmarathons – oder ich fahre das Kitzbüheler Horn hinauf. Sieben Kilometer. Fast 1.000 Höhenmeter. Entsprechend im Schnitt zwölf Prozent steil, in der Spitze mindestens 20. Entscheidet man sich für eine Variante, gibt es kein Zurück mehr. Fahre ich also das Horn und gebe auf, gibt es kein Finish für mich.

Ich dehne meine Beine, stretche mich, jage mir ein Isogetränk nach dem anderen am Verpflegungspunkt rein und esse Bananen. Lange überlegt habe ich trotz meiner Krämpfe nicht: Das Horn oder nichts. Notfalls schiebe ich das Fahrrad diesen Berg hoch.

In einem Film wäre das die Stelle, in der das Bild angehalten wird und ich aus dem Off sage: “Yup, das bin ich. Du wunderst dich wahrscheinlich, wie ich in diese Situation geraten bin.”

Kitzbüheler Radmarathon 2024: Wie kam ich dazu?

Deshalb erstmal alles auf Anfang. Ich bin Justin, ich fahre seit dem August 2022 Rennrad. Damals erfüllte ich mir einen Kindheitstraum. Ich habe vor allem die Tour de France damals sehr gern und emotional verfolgt, fuhr große Etappen auf meinem Kinderfahrrad in meinem Heimatdorf gedanklich nach.

Irgendwann verlor ich auch wegen der Dopingskandale und meiner Fokussierung auf Fußball den Kontakt zum Radsport, ehe ich ihn in den 2010er Jahren erst als Zuschauer und 2022 eben auch mit eigenem Rennrad wiederfand. Ich werde jetzt nicht die ganze Geschichte aufwühlen, wie ich es geschafft habe von August 2022 bis September 2024 derart fit zu werden, dass ich mir einen Radmarathon zutraue.

Aber dass ich einen fahren möchte war im Winter 2023/24 relativ schnell klar. Ich habe eigentlich den Ötztaler Radmarathon ins Auge gefasst. Gemeinsam mit meinem Trainingspartner habe ich mich im Januar also beworben – und wir wurden beide abgelehnt. Mein Trainingspartner schlug einige Wochen später dann den Kitzbüheler vor. Ich schaute mir das Profil an und sagte: Perfekt. Wie naiv von mir.

Kitzbüheler Radmarathon: Das Profil

Den Claim “Echt steil” haben sie sich in Kitzbühel nicht umsonst gegeben. Insgesamt gibt es fünf nennenswerte Berge. Der Pass Thurn ist ein gutes Aufwärmprogramm mit im Schnitt nur an die drei Prozent. Er ist lang und lange Zeit auch fast schon flach. Erst am Ende wird es etwas steiler, aber immer noch moderat mit maximal sieben oder acht Prozent oder so.

Der Gerlos Pass ist schon schwieriger. Die erste Hälfte ist mitunter sehr steil, hat bis zu zwölf Prozent Steigung, erst oben raus flacht es etwas ab. Dann gibt es einen Verpflegungspunkt oben, eine lange Abfahrt und ein schnelles Flachtstück bis zum ersten Hammer: Der Kerschbaumer Sattel. Fünf Kilometer, 10,7 Prozent im Schnitt und so gut wie nie weniger als neun oder zehn Prozent.

Fast direkt nach der Abfahrt gibt es rund um Brandenberg und Pinegg weitere Anstiege, die aber größtenteils moderat, in der Spitze aber auch bei über zehn Prozent liegen. Hat man das geschafft, folgt eigentlich ein recht simpel aussehendes, aber langes Stück bis nach Kitzbühel. Eigentlich. Mehr dazu später.

Das Horn ist der Endboss. Fast 13 Prozent im Schnitt auf nur sieben Kilometern. Hallelujah, wofür habe ich mich da angemeldet?

Die Vorbereitung auf den Kitzbüheler Radmarathon

Zumal der größte Witz ja ist, dass ich in meinem Leben erst einmal in den Alpen war. Und erst eine Fahrradtour dort gemacht habe mit etwas mehr als 2.000 Höhenmetern auf etwas mehr als 100 Kilometern. Ansonsten bin ich mal den Brocken im Harz gefahren.

Ich komme aus Brandenburg. Um hier 4.000 Höhenmeter zu machen, müsste ich entweder Brücken rauf und runter treten oder 1.000 Kilometer fahren. Steigungen von über zehn Prozent gibt es zwar hier und da mal, wenn jemand Langeweile beim Straßen- oder Wegbau an einem Hügelchen hatte, aber zum Training eignet sich das alles nicht.

Also wie geht man das als absoluter Flachländer überhaupt an?

Das Training

Vorab ist wichtig: Ich bin kein Wissenschaftler, habe mir all das auch nur angelesen und bitte daher darum, das nicht als Handlungsempfehlung zu verstehen, sondern vor allem als Bericht darüber, was für mich funktioniert (oder nicht funktioniert) hat.

Klar ist, dass es verschiedene Komponenten benötigt, um einen derartigen Radmarathon zu bewältigen. Welche in welchem Ausmaß benötigt werden, hängt davon ab, welches Ziel man sich setzt. Manche wollen nur durchkommen, ich wollte mit der bestmöglichen Zeit durchkommen. Mindestziel: Unter neun Stunden.

Will man irgendwie finishen, wird man sehr viel im Wohlfühlbereich fahren. Also in der sogenannten “Zone 2”. Das ist der Bereich, in dem der Körper nur eine moderate Intensität verspürt. Oft wird gesagt, dass man sich in diesem Bereich befindet, wenn man beim Joggen oder Radfahren noch locker Unterhaltungen führen kann. Man kann es auch Ausdauerzone nennen. In diesem Tempo spielt es ab einer gewissen Fitness keine Rolle mehr, ob man vier, fünf, sechs oder zehn Stunden auf dem Rad sitzt.

Eine große Ausdauerbasis ist aber auch für jene relevant, die mit bestmöglicher Zeit finishen wollen. Für mich kommen aber noch weitere Faktoren hinzu. Über mehrere Stunden hinweg wird man vermeiden wollen, zu oft in den roten Bereich zu kommen. Also in jenen Bereich, der über der Schwellenleistung (die Leistung, die man ca. eine Stunde treten kann) liegt – auch anaerober Bereich genannt.

Im anaeroben Bereich wird verstärkt Laktat gebildet und der Körper bekommt nicht mehr genug Sauerstoff zur Energiegewinnung. Bedeutet vereinfacht gesagt: Man platzt irgendwann auf und es geht nichts mehr.

Die Details zum Trainingsaufbau

In der Vorbereitung waren mir grob gesagt also zwei Aspekte sehr wichtig: Eine große Ausdauerbasis und die anaerobe Schwelle verschieben, um also möglichst hohe Wattzahlen zu treten, ohne in den roten Bereich zu kommen.

Zwischen Januar und April war ich noch recht unstrukturiert unterwegs. Viele Basiseinheiten, also lange Fahrten in Zone 2. Aber auch viele Rennen auf Zwift. Konkreter wurde es dann ab Mai. Dann fing ich an, mich spezifischer vorzubereiten. In einem ersten langen Block über rund sechs Wochen lag mein Fokus auf Zone-2-Training. Mindestens vier Einheiten die Woche, eine sehr lange Ausfahrt zwischen drei und sechs Stunden, zwei bis drei kürzere Zone-2-Ausfahrten (manchmal mit kurzen Tempo- oder Schwellenintervallen im höheren aeroben Bereich) zwischen zwei und drei Stunden und ein einstündiges etwas härteres Workout mit Intervallen im anaeroben Bereich. Mindestens ein Ruhetag pro Woche. Mindestens 80 Prozent Zone 1 und 2, 20 Prozent in intensiveren Zonen. In allen Blöcken bewegte ich mich zwischen 8 und 15 Stunden pro Woche auf dem Rad. Je nachdem, wie viel Zeit ich selbst auch hatte. Nicht immer konnte ich meinen Plan halten, aber fast immer.

Mein zweiter größerer Block, ebenfalls sechs Wochen lang, sah vom Aufbau her ähnlich aus. Allerdings erhöhte ich nun den Anteil in intensiveren Zonen, sodass mein Training “polarisierter” wurde. Mindestens zwei harte Tage pro Woche mit anaeroben Intervallen, dazu eine Zone-2-Einheit mit längeren Tempointervallen (Zone 3). Das Zonenmodell erkläre ich an der Stelle jetzt nicht im Detail, hier gibt es beispielsweise Informationen dazu.

In beiden Trainingsblöcken habe ich versucht, immer drei Wochen lang die Intensität zu steigern, um dann eine Woche einzubauen, die etwas weniger intensiv war. Dann folgten wieder zwei progressiv intensivere Wochen, ehe es in den nächsten Trainingsblock ging.

Im dritten Block, also die sechs Wochen vor dem Wettkampf, ging es darum, spezifische Leistungen zu simulieren, die ich in Kitzbühel brauche. Ein Beispiel: Eine fünfstündige Ausfahrt mit zwei 40-minütigen Intervallen im Tempobereich – also dem Bereich, in dem ich größtenteils am Berg sein werde.

Im Idealfall auch mit niedriger Trittfrequenz, um zu simulieren, wie es am Berg ungefähr sein wird. Im Flachland ist das eher schwierig. Ich habe einige solcher Einheiten deshalb auf der Rolle und auf Zwift absolviert, um mich daran zu gewöhnen. Ein Workout, das ich auch sehr hilfreich fand: Drei bis vier Stunden, drei bis vier 20-minütige Zone-3-Intervalle, in die man jeweils noch vier bis fünf einminütige Leistungssteigerungen in den anaeroben Bereich integriert, um den Körper an Laktatbildung zu gewöhnen.

Im letzten Trainingsblock habe ich dann viereinhalb Wochen progressiv durchgezogen, ehe es anderthalb Wochen ins Tapering ging, also der Regenerations- und Aktivierungsphase vorm Wettkampf.

Zusätzlich zum Training auf dem Rad habe ich pro Woche mindestens dreimal Yoga gemacht (manchmal sogar täglich), was meine Flexibilität deutlich verbessert hat. Gerade bei langen Ausfahrten ein Gamechanger und man kann auch bei hohen Intensitäten ruhiger auf dem Rad bleiben, weil der Körper insgesamt nicht so schnell steif wird.

Das Rad

An der Stelle noch ein kurzer Einwurf zu meinem Equipment: Ich bin mit dem Cube Agree C:62 Race gefahren. Übersetzung 11-34 hinten und 50-34 vorne. Damit kam ich an allen noch so steilen Bereichen sehr gut klar. Der Laufradsatz ist von Leeze, eher für flache Gebiete, aber was soll’s?

Der Pacingplan

Rund einen Monat vorm Wettkampf habe ich konkreter angefangen, darüber nachzudenken, wie ich das Rennen ungefähr angehe. Mein Plan war grob: Am Berg Zone 3, bergab regenerieren, im Flachen möglichst viel Zone 1 und 2 und viel Windschatten.

Dann wurde ich konkreter. Meine FTP (also die ungefähre Leistung, die ich eine Stunde halten kann) liegt zwischen 330 und 350 Watt bei 80 Kilo – also knapp über vier Watt pro Kilo. Verschiedene Studien und Erfahrungsberichte zeigen, dass man mit 80 Prozent der FTP-Leistung am Berg gut zurechtkommt. In Kitzbühel geht es zudem auch nie auf eine Höhe, in der man mit heftigen Leistungseinbußen rechnen muss. Das ist beim Ötztaler anders. Mein Plan sah dann so aus:

  • Pass Thurn: gute Gruppe finden, rund 270 Watt im Schnitt
  • Gerlos Pass: die steilere Hälfte mit rund 270-300 Watt angehen, dann 250-270 Watt zur Spitze im flacheren Stück
  • Kerschbaumer Sattel: möglichst konstant ungefähr 270-280 Watt
  • Pinegg/Brandenberg: um die 260 Watt
  • Horn: alles, was noch im Tank ist. Idealerweise eher in Richtung 250 oder 260 Watt oder gar mehr, wenn es perfekt läuft. Aber erstmal defensiv rein und in der zweiten Hälfte womöglich zulegen.

Die Ernährung

Wer viel Ausdauersport betreiben will, muss bei längeren Einheiten und insbesondere bei solchen Events auch daran denken, den Körper mit Elektrolyten und vor allem Kohlenhydraten zu versorgen. Profis haben früher rund 60g Kohlenhydrate pro Stunde zu sich genommen. In der modernen sportwissenschaftlichen Forschung ist man mittlerweile so weit, dass Profis bis zu 120g pro Stunde zu sich nehmen – und das macht einen extrem leistungsfördernden Unterschied.

Nun bin ich aber kein Profi. Selbst wenn ich am Limit fahre, werde ich nicht in Bereiche kommen, die das letzte noch so kleine Prozent an Ernährungsoptimierung erfordern. Zumal ich auch kein Auto haben werde, aus dem mir alles fröhlich zugereicht wird. Ich musste also einen Kompromiss zwischen dem Platz, den ich am Rad und im Trikot habe, und einer guten Ernährung finden. 60-80g Kohlenhydrate schienen mir möglich und auch ausreichend zu sein.

Ich entschied mich für folgendes – untergebracht in einer etwas größeren Satteltasche, meiner Rahmenbox und meinem Trikot (siehe Bild vom Rad unten):

  • Zehn Gels mit 40g Kohlenhydraten
  • Zwei Koffeingels mit rund 20g Kh
  • Zwei Flaschen mit je 0,75 Litern Wasser – eine gefüllt mit rund 80g Maltodextrin und einer handelsüblichen Elektrolyt-Mischung
  • Zwei Notfallriegel (ich mag feste Nahrung beim Fahren nicht, aber manchmal brauche ich sie fürs Gefühl)
  • Eine Notfallpackung mit Elektrolyten
  • Drei kleine Zipbeutel mit 80g Maltodextrin und Elektrolyt-Mischung zum Nachfüllen der Flasche

Ziel war es, an jeder Verpflegungsstation (siehe Profil oben) anzuhalten, die Flaschen nachzufüllen und ggfs. noch etwas zu essen. Alles mit möglichst wenig Zeitverlust.

Zum Frühstück gab es bei mir eine Riesenschüssel Porridge, zwei Rote-Bete-Shots und einen Liter Wasser, den ich in der Startzone noch (teilweise) wegbringen konnte, bevor es losging.

Die Verpflegungsstellen schaute ich mir anhand der Vorjahre und der Infos, die es auf der Seite gab, natürlich genauer an. Kuchen und Co. waren leider nicht vegan. Für mich gab es eigentlich nur Obst, trockenes Brot und Isogetränke. Das reichte mir aber für meine Planungen. Ich bin ja nicht für ein Festmahl angereist.

Übrigens: Was einem kaum jemand erzählt, wenn man sich in die Materie mit Zuckerwasser, Gels usw. einarbeitet, was aber natürlich logisch ist, ist die Belastung für die Zähne. Ich zählte zu jenen, die sich weniger Gedanken darüber gemacht haben. Aber natürlich greift das ganze Zeug die Zähne an. Man muss also eine Routine entwickeln, die dagegen ankämpft. Beispielsweise nach jedem Nippen aus der Zuckerflasche und nach jedem Gel mit Wasser nachspülen und das Zeug auch nicht zu lange im Mund behalten.

Kitzbüheler Radmarathon: Das Rennen

Nun also zum Renntag selbst. Wir hatten perfekte Wetterbedingungen. Eine Prämiere bei der vierten Austragung des Radmarathons. Es blieb bis 15/16 Uhr trocken, dann tröpfelte es ganz leicht und ganz wenig am Horn, aber auch das war kein echter Regen.

Ich pokerte und ließ die Regenjacke deshalb daheim. Mehr Stauraum im Trikot. Ich trug zum Start Armlinge und eine Windweste zusätzlich zu Trikot und Bib. Die ersten zwei, drei Stunden waren noch recht frisch, so ging es aber sehr gut.

Brutal schneller Start

Gerade zu Beginn wurde mir sowieso schnell warm. Die Gruppenfindung war gar nicht so leicht. Immer wieder musste ich bis fast in den Schwellenbereich, um eine gut funktionierende Gruppe zu finden. Erst im steileren Bereich des Pass Thurn fand ich dann einen guten Rhythmus. Aber einige überdrehten hier schon komplett, glaube ich.

Pass Thurn

Der Pass an sich war erwartbar leicht zu fahren und die Auffahrt von Kitzbühel aus ist auch nicht sonderlich schön. Es war aber das erwartet gute Warmfahren. Und die Abfahrt, die dann kam, war wunderschön. Nach der einen oder anderen Kehre wurden wir mit der noch tiefstehenden Sonne und einem herausragenden Blick ins Tal belohnt.

Einige ließen es bergab ordentlich krachen, ich blieb vorsichtig und erreichte in der Spitze “nur” 65 Km/h. Als ungeübter Abfahrer schon schnell. Anschließend ging es durchs Tal. Zu Beginn waren wir eine sehr kleine Gruppe mit nur vier oder fünf Leuten.

Wir hatten aber Blickkontakt zu einer größeren und so wechselten wir uns in der Führungsarbeit ab, um ranzukommen. Ich ging dabei aber nie höher als 300 Watt. Als wir die Gruppe erreicht haben, wurde es besser. Viel Windschatten.

Gerlos Pass

Es dauerte doch einige Kilometer, bis wir dann endlich am Gerlos Pass ankamen. Und der überraschte mich etwas. Ich wusste zwar, dass der Start steil ist, aber der fühlte sich doch schwieriger an, als ich erwartet hätte. Trotzdem hielt ich meine Zielpace hier ganz gut und kam ohne größere Schwierigkeiten nach oben zur ersten Verpflegungsstelle.

Hier war richtig was los, weil das Feld noch nicht sehr auseinandergerissen war. Das Personal hatte also einiges zu tun. Fahrrad ins Gras gelegt, ersten Maltobeutel aus der Tasche geholt, in die Flasche gekippt, beide mit Wasser nachfüllen lassen, was überraschend schnell ging und wieder rauf auf das Rad. Nicht zu viel Pause. Ab in die Abfahrt.

Die war ebenfalls sehr schön. Zu Beginn war ich noch allein, ließ mich aber von einer großen Gruppe einholen, der ich mich hinten anschloss. Anderen hinterherfahren war einfacher. Vor allem im zweiten Teil der Abfahrt mit vielen Kehren. Dort überholten wir drei Autos als Gruppe, aber einige von uns kamen in dem nun kurvenreichen Abschnitt nicht vorbei. Das führte zu einer recht … bescheidenen Situation.

Langes Flachstück

Denn im darauffolgenden Flachstück waren wir nur noch zu dritt und dann sogar zu zweit. Vor uns fuhr die Gruppe immer weiter weg und wir verschwendeten einige Körner beim Versuch, nochmal heranzukommen. Keine Chance.

Mein Partner ließ sich bei meiner Führungsarbeit dann fallen, was ich aber erst nach zwei Minuten merkte. Ich nahm auch heraus und realisierte, dass es keinen Sinn ergibt. Glücklicherweise kam dann bald eine neue Gruppe, mit der wir bis zum Kerschbaumer Sattel fuhren. Die Fahrt im Tal war von der Umgebung her aber ebenfalls bildschön.

Überragend waren auch die Absperrungen und die Leute, die uns angefeuert oder in die richtige Richtung gelotst haben. Sehr gute Organisation – und das auf der ganzen Strecke.

Kerschbaumer Sattel

Am Kerschbaumer wartete dann das erste Brett auf uns. Ich muss aber sagen, dass der Berg richtig Spaß gemacht hat. Am Rand standen ein paar Leute, die uns angefeuert haben und er war zwar steil, aber es war viel einfacher, einen Rhythmus zu finden, als an den vorherigen Anstiegen. Das gefiel mir.

Oben wartete dann die nächste Verpflegungsstation. Auch hier habe ich wieder möglichst wenig Zeit aufgebraucht. Selbe Prozedur wie bei der ersten.

Pinegg/Brandenberg

In und nach der Abfahrt bildete sich eine Gruppe rund um Ultra-Cycling-Legende Christoph Strasser, der Teilnehmerin Anna Moser als mentaler Support begleitete. Die Gruppe war sehr angenehm und fuhr auch in Leistungszonen, die mir etwas Entspannung brachten. Die Anstiege, die dann folgten, überraschten mich aber etwas. Sie zogen sich länger als ich es erwartet hatte und sie waren mitunter steiler als ich dachte.

Insgesamt war ich froh, dass die Gruppe eher moderat an die Sache heranging und so blieb ich meist bei um die 240, 250, manchmal 260 Watt. Mehr hätte sich auch gar nicht gelohnt. Warum die Gruppe verlassen? Die Abfahrt von Brandenberg nach Kramsach war dann einfach nur traumhaft. Unglaublich. Toller Asphalt, unglaubliche Aussicht. Mitunter erreichte ich hier Geschwindigkeiten bis knapp unter 80 Km/h, ohne es zu merken. Diese Abfahrt werde ich nie vergessen.

Der Wendepunkt

Es ging noch etwas hüglig mit einigen Aufs und Abs weiter zur nächsten Verpflegungsstation, die etwa bei 155 Km auf uns wartete. Bis dahin ging es mir echt gut. Ich holte mir wieder Nachschub für die Flaschen und fuhr weiter. Leider war Strasser schneller beim Verpflegen und ich sah ihn erstmal nicht wieder.

Es fand sich eine andere Gruppe kurz darauf, die allerdings recht schnell fuhr. Ab Km 170 spürte ich in den Innenseiten der Oberschenkel bereits Ansätze von Krämpfen. Ich versuchte, meine Beine bei jeder Möglichkeit im Fahren zu stretchen und meine Flüssigkeitszunahme zu erhöhen. Kurzzeitig half es, doch die Schmerzen kamen stärker wieder. Zumal noch zwei nicht kategorisierte Rampen mit bis zu 15 Prozent einiges abverlangten.

Bei Km 190 krampften meine Waden noch stärker. Ich ließ meine Gruppe an einem der kurzen Anstiege fahren, reihte mich bei einer etwas langsameren später ein. Auch die ließ ich bald fahren, aber erst kurz vorm Verpflegungspunkt. Und da stand ich nun also. Vor der Entscheidung, wie ich das Horn am besten bezwingen kann.

Der Kampf gegen meinen Körper

Ich nahm alles zu mir, was ich an der Verpflegungsstation finden konnte. Und dann rollte ich nach meiner bisher längsten Pause auf das Horn zu. Ich lag überragend in der Zeit. Irgendwas um die sieben Stunden und ein paar Minuten. Ohne Krämpfe hätte ich wohl eine Zeit um die acht Stunden und 10 oder 20 Minuten anpeilen können.

So aber musste ich mental umswitchen: Irgendwie ankommen. Ich fuhr in die Linkskurve und unten am Fuß des Bergs standen Leute, die allen Fahrer*innen applaudierten, die dort lang kamen. Das war ein so schönes Gefühl. “Respekt”, rief einer. Ich antwortete: “Vielleicht bis gleich, bei mir krampft alles. Aber notfalls schiebe ich das Rad diesen scheiß Berg hoch.” Er lachte. Ich nicht.

Am Anfang war es noch ein Einrollen. Dann sah ich das hier:

Von da an wurde es nur noch steiler. Irre. Bei jeder Pedalumdrehung hatte ich die Angst, dass irgendwas in meinen Beinen komplett zumacht. Ich musste so höllisch aufpassen, jetzt nicht zu überdrehen. Ich versuchte, im Bereich zwischen 200 und 240 Watt zu bleiben. Was bei dieser Steigung bedeutete: Trittfrequenz von 30 bis 50.

Auf meinem Radcomputer war der Anstieg inklusive Fortschritt zu sehen. Die ersten drei Kilometer gingen, dann zog sich alles ins Unendliche. Ich fuhr viel Zickzack, um Steigung herauszunehmen und meine Beine zu schonen. Einige schoben ihr Rad bereits. “Wie weit noch”, fragte einer. Die Antwort war nicht wirklich motivierend.

Es nahm schlicht kein Ende. Ich beendete die Routenführung auf meinem Radcomputer, weil mir die Fortschrittsanzeige auf die Nerven ging. Nach gut vier Km hielt ich das erste mal an, weil ich musste. Beine dehnen, Waden massieren, irgendwie herauszögern, dass der Körper nicht mehr will. Wieder rauf aufs Rad.

Nach fünf Kilometern musste ich wieder vom Rad. Immerhin: Nur noch ca. zwei Kilometer nach oben. Jetzt schaffe ich es notfalls auch zu Fuß. Ich setzte mich wieder aufs Rad. Dann kam das brutalste Stück. Bis zu 20 Prozent in einem kleinen Waldstück. Man kam kaum vorwärts. Von rechts nach links und wieder zurück. Es ging für mich nur noch übers Mentale. Irgendwie die Beine weiterdrehen trotz der unglaublichen Schmerzen.

Wir durchfuhren ein erstes “Tor”. Ich dachte, das wäre vielleicht die 1-Km-Marke. Als wir aus dem Wald herauskamen, blickte ich nach oben. Noch ein grünes Tor und noch weiter oben das Ziel. Es sah so weit weg aus. Aber es war zu sehen.

Ich gab nochmal alles, um anzukommen und dann war der Moment da. Die Zieleinfahrt. Ich hob die Faust mit meiner letzten Energie, klickte aus den Pedalen aus, setze mich aufs Oberrohr, vergrub meinen Kopf auf dem Lenker und fing an zu heulen. Ich war so stolz, so glücklich, so überwältigt von allem, was ich an diesem Tag erlebt hatte. So erfüllt und gleichzeitig so leer. Ich hatte es wirklich gepackt.

Und das auch noch in einer Zeit von acht Stunden und 46 Minuten. Mindestziel erreicht. Trotz der Krämpfe und der unerwarteten Probleme. Ich kann heute noch nicht richtig realisieren, wie ich das geschafft habe.

Analyse: Woran hat et jelegen?

Im Nachhinein musste ich für mich dennoch analysieren, woran es lag, dass ich am Ende Krämpfe bekam. Allein schon, um es beim nächsten Mal besser zu machen.

Wenn ich in meine reinen Leistungsdaten schaue, bin ich eigentlich recht zufrieden. Ich habe rund drei Stunden in Zone 3 und 4 verbracht. Den überwiegenden Teil davon zwischen den angepeilten 250 und 300 Watt. Hier meine Wattwerte für die Anstiege:

  • Pass Thurn: 269 Watt
  • Gerlos Pass: Das steile Stück mit 275 Watt, dann deutlich weniger in Richtung 230/240 Watt
  • Kerschbaumer Sattel: 270 Watt
  • Pinegg/Brandenberg: 210 Watt (wobei hier kurze Zwischenabfahrten und flachere Stücke den Durchschnitt nach unten ziehen) – an den Anstiegen waren es eher so 240 Watt im Schnitt
  • Horn: 197 Watt (mit den beiden kurzen Pausen)

Bis aufs Horn bin ich mit den Werten total zufrieden und alles lief nur auf die Berge bezogen nach Plan. Allerdings gibt es zwei Abschnitte, die rückblickend betrachtet nicht optimal gelaufen sind.

Das hier ist der Abschnitt nach der Abfahrt vom Pass Thurn bis zum Gerlos Pass. Im Schnitt bin ich 225 Watt gefahren. Wie man aber gut sehen kann, gibt es in der zweiten Zeile sehr viele gelbe Bereiche. Das ist meine Tempozone. Die grafische Darstellung zeigt den 30-Sekunden-Schnitt an. Ich war dort zu lange in einer Zone unterwegs, in der ich nicht regenerieren konnte. Vielleicht hätte ich hier eher auf eine Gruppe hinter mir warten sollen, statt die vor uns zu jagen.

Das gilt ebenso für den Abschnitt nach der Abfahrt vom Gerlos Pass. Gerade in den Flachstücken hätte ich deutlich mehr Energie sparen können, vermutlich müssen. Hier war ich zu ungeduldig und zu sehr besorgt darum, meine gute Zeit nicht halten zu können. Ich bin in den Flachstücken nie dramatisch zu hart gefahren, aber vielleicht den einen Tick zu hart, der am Ende entscheidend war. Aber man fühlt sich eben gut und geht dann das Risiko ein.

Ernährung

Auch bei der Ernährung liegen aber womöglich ein paar Fehler. Ich hatte am Ende noch vier 40g-Gels und ein Koffeingel übrig. Heißt: Ich habe in den knapp neun Stunden nur sechs 40g-Gels und ein Koffeingel zu mir genommen. Weniger als das geplante eine Gel pro Stunde. Meine Flaschen habe ich eigentlich immer gut geleert, bevor es zur nächsten Verpflegung ging.

Dort habe ich allerdings gar nicht gegessen. Auch keine Bananen. Vielleicht war es insgesamt zu wenig, was die Krämpfe begünstigt haben könnte.

Kitzbüheler Radmarathon: Würde ich etwas anders machen?

Das führt auch zur Frage, ob ich etwas anders machen würde, wenn ich es nochmal mache. Was die Vorbereitung angeht: Nein. Höchstens einen zusätzlichen “Urlaub” in den Bergen, wenn es zeitlich möglich ist. Im Ernst: Zwift kann einen sehr gut auf das vorbereiten, was man in den Bergen braucht. Das zeigt meine Leistung auch sehr gut.

Aber: Bergauf fahren ist eben doch nochmal anders als auf einer Rolle. Die Neigung belastet den Körper anders. Ich hatte anschließend Schmerzen an Stellen, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren. Wenigstens etwas Training in den Bergen wäre also für jemanden wie mich, der in Brandenburg über jede Brücke froh ist, erstrebenswert.

Das Training an sich war aber top. Ich fühlte mich auf den Punkt fit. Ich scheine also viel richtig gemacht zu haben. Bei der Ernährung würde ich beim nächsten Mal strikter darauf achten, dass ich regelmäßig verpflege. Also nicht zwei große Schlücke aus der Flasche und dann mal 40 Minuten gar nicht, sondern wirklich alle paar Minuten ein bisschen. Dazu auch wirklich die Gels nutzen, die ich habe.

Und an den Verpflegungsstationen würde ich beim nächsten Mal deutlich mehr Banane essen. Die paar Sekunden müssen sein. Vielleicht bleibt es dann krampffrei. Aber hey! Das war mein erster Radmarathon. Und dafür lief es dann doch sehr, sehr gut. Ich habe Grenzen kennengelernt und überwunden. Ich habe mentale und körperliche Stärke bewiesen – und ich hatte eine perfekte Mischung aus Spaß und Schmerzen.

Danke!

Ich möchte mich auch hier nochmal bei allen bedanken, die mir auf dem Weg sehr geholfen haben.

  • Meine Freundin Nina, die all den Vorbereitungsprozess ausgehalten und mich immer unterstützt hat
  • Mein Trainingspartner Roland, der das alles überhaupt erst ins Rollen brachte und ermöglicht hat. Chapeau dafür, dass er den Radmarathon ebenfalls gefinisht hat – trotz mehrerer harter Rückschläge dieses Jahr
  • Team Vegan – eine wunderbare Community, die mich seit zwei Jahren auf meinem Weg unterstützt. Ich habe dort Freunde gefunden und wertvolle Tipps bekommen. Danke!
  • Bike Academy Berlin: Ein hervorragendes Bikefitting, das mir die letzten Prozent ermöglicht hat
  • Danke auch an alle, die mir seit Wochen positiv zugesprochen haben und mitgejubelt und gelitten haben, als ich es dann endlich gepackt habe
  • Und Danke an die Organisator*innen. Ein wirklich tolles Event!

Justin Kraft

Quereinsteiger im Bereich Sportjournalismus. Blogger, Podcaster, Autor. Taktik-, Team- und Spieler:innenanalysen sowie Spielberichte zählen zu meinen Kernkompetenzen. Mein Antrieb ist es, die komplexe Dimension des Spiels zu verstehen und meine Erkenntnisse möglichst verständlich weiterzugeben. Journalistisch. Analytisch. Fundiert.

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