EM-Notizen, Tag 17: Werbung für die Bundesliga – Auftrag an den DFB

Veröffentlicht von Justin Kraft am

Deutschlands 2:0-Sieg gegen Österreich war im Viertelfinale der EM 2022 ein Bundesliga-Duell. Viele Startelf-Spielerinnen haben eine Vergangenheit in der Bundesliga oder spielen dort. Das intensive und hochklassige Spiel war deshalb Werbung für den deutschen Fußball. Aber was macht der DFB daraus?

Deutschland gegen Österreich war ein voller Erfolg für den deutschen Fußball. Nicht nur deshalb, weil sich die DFB-Auswahl mit 2:0 durchsetzen konnte. 9,5 Millionen Menschen haben durchschnittlich das gestrige Viertelfinale in der ARD verfolgt. Einige kommen über den Sportschau-Stream und DAZN hinzu.

Hinzu kommt, dass 21 Spielerinnen aus den beiden Startformationen in der Bundesliga spielen oder dort zumindest eine Vergangenheit haben. Nur Julia Hickelsberger-Füller spielte bisher in ihrer Heimatstadt in St. Pölten. Die 22-Jährige schließt sich zur kommenden Saison aber der TSG Hoffenheim an. Mit Manuela Zinsberger, Laura Wienroither (beide FC Arsenal), Sarah Puntigam (Montpellier) und Sara Däbritz (Paris Saint-Germain, nach der EM Olympique Lyon) kommen nur vier Spielerinnen hinzu, die aktuell nicht in Deutschland tätig sind, es aber mal waren.

32 Spielerinnen sind es insgesamt in beiden Teams, die aktuell bei Bundesliga-Klubs unter Vertrag stehen. Das intensive und hochklassige Duell der beiden benachbarten Nationen ist deshalb zu Recht als Werbung für den deutschen Fußball der Frauen zu werten. Dem DFB war es schon im Vorfeld ein wichtiges Anliegen, das zu betonen.

Deutschland gegen Österreich: Werbung für die Bundesliga

Der Verband sammelte auf seiner Website Stimmen. “Das ist ein tolles Statement für die Bundesliga”, sagte beispielsweise die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Und das war es. Beide Teams schenkten sich nichts. Es war von Beginn an ein Spiel, in dem um jeden Zentimeter auf dem Platz gekämpft wurde. Packend, intensiv und bisweilen auch spektakulär.

Österreich überzeugte nicht nur mit unbändigem Willen, sondern mit einer klugen Pressingstrategie. Deutschland wurde durch das Anlaufverhalten der Österreicherinnen früh auf den Flügel gedrängt und musste sich dort auf sehr engem Raum beweisen. Gerade in der Anfangsphase ergaben sich dadurch einige Ballgewinne für Österreich.

Eine Taktiktafel, die Österreichs Pressing veranschaulicht. Die Stürmerin läuft den Passweg zwischen den Innenverteidigerinnen zu und zwingt Deutschland somit auf den Flügel, wo bereits viele Österreicherinnen positioniert sind, um zuzupacken.

Taktisch sind beide Teams sehr gut geschult. Österreich profitiert enorm von der täglichen Arbeit, die beispielsweise bei der TSG Hoffenheim, beim FC Bayern München oder bei Eintracht Frankfurt geleistet wird. Auf der anderen Seite hatte Deutschland einen anderen Pressingansatz, der vor allem darauf abzielte, das Zentrum Österreichs unter Druck zu setzen. Zweimal mit Erfolg.

Deutschland gegen Österreich: Mehr als ein “Pressing-Duell”

Gleichzeitig war dieses Viertelfinale deutlich mehr als ein reines “Pressing-Duell”. Beide haben gezeigt, dass sie richtig guten Fußball spielen können. Deutschland mit guten Positionswechseln und spätestens im zweiten Durchgang mit guten Befreiungsangeboten im Halbraum, um das von Österreich aufgezwungene Flügelspiel auch mal zu verlagern. So schob Giulia Gwinn mehrfach ins Zentrum oder die Mittelfeldspielerinnen rund um die sehr weiträumig agierende Lena Oberdorf erliefen sich mit gegenläufigen Bewegungen Räume.

Auch Steil-Klatsch-Kombinationen über Wandspielerin Alexandra Popp funktionierten sehr gut. Außerdem gewann das Team an Ruhe und ließ den Ball häufiger mal durch die eigenen Reihen laufen, um auf Lücken zu warten. Österreich fand auf der anderen Seite ebenfalls das eine oder andere Mal die Lücken im deutschen Anlaufverhalten. Was ihnen schon im gesamten Turnier fehlte, war der letzte Punch in der Offensive. Top-Stürmerin Nicole Billa hatte zu wenig Anbindung, spielte auch gegen Deutschland nur in der Arbeit gegen den Ball eine wichtige Rolle, weil sie dafür zuständig war, den Passweg zwischen den Innenverteidigerinnen zuzulaufen.

Trotzdem: Diese beiden Teams haben sich gnadenlos die gegenseitigen Schwachpunkte aufgezeigt, indem sie ihre Stärken ausgespielt haben. So macht Fußball spaß. Das war unterhaltsam, temporeich, abwechslungsreich und einfach gut anzusehender Sport. Technisch sicher nicht auf dem Niveau des ersten Viertelfinals, von der Intensität und Leidenschaft her aber ein ganz eigenes Level.

Bundesliga: DFB ist vor allem selbst gefordert

Dass der DFB diese Gelegenheit nutzt, um auf die eigene Bundesliga aufmerksam zu machen, ist folgerichtig. Schöner wäre es aber, wenn er auch nach dem Turnier nicht darauf vertraut, dass das Turnier genug Rückenwind geben wird, um die Liga ins Rollen zu bringen. Dass die Bundesliga so gut ist, ist vor allem ein Verdienst der Klubs.

Neben den oben angesprochenen Bundesliga-Teams sind auch der VfL Wolfsburg und der SC Freiburg zu nennen. Fünf deutsche Spielerinnen und zwei Österreicherinnen aus den beiden Startformationen haben eine Vergangenheit in Freiburg.

Mit Wolfsburg, Bayern und jüngst auch Frankfurt investieren drei Klubs immer mehr Geld in den Fußball der Frauen. Das tut der Entwicklung des deutschen Fußballs gut. Auch dahinter bewegt sich viel. Auf Verbandsebene hingegen hat sich in den letzten Jahren nicht genug bewegt. Das führte im Frühjahr beinahe dazu, dass die Klubs eine Ausgliederung forciert hätten.

Bundesliga “nicht nur zeigen, sondern auch vernünftig zeigen”

Der DFB konnte diese abwenden. Mit Versprechungen und Worten, denen nun auch Taten folgen müssen. “Ein richtiges vollumfängliches Konzept” für den Fußball der Frauen forderte die Agentin Jasmina Čović im Gespräch mit mir für SPOX. Bisher habe sie das nicht erkennen können. Der Verband solle sich dahingehend an der FA orientieren. Das betreffe “die Vermarktung, die sportliche Perspektive und wie sie die Vereine unterstützen wollen.” Dafür brauche es Personal mit großem Erfahrungsschatz.

Julia Simic forderte hingegen mehr Sichtbarkeit für die Bundesliga – und eine deutlich professionellere Produktion. Es gehe darum, die Bundesliga “nicht nur zu zeigen, sondern auch vernünftig zu zeigen.” Der Fußball in Deutschland müsse besser präsentiert werden. Mehr Kameras, mehr Perspektiven, bessere Infrastruktur und dementsprechend eine höhere Qualität der Übertragung und Berichterstattung.

Man habe es nach vergangenen Turnieren nicht geschafft, den Hype mitzunehmen, weil es nicht gelang, das Produkt “auf nationaler Ebene nachhaltig attraktiv zu machen”, erklärte Simic. Ich denke, dass genau das den Kern des Problems trifft.

Bundesliga: Wie gelingt jetzt Wachstum?

Es wäre unsinnig, von Quoten im hohen Millionenbereich zu träumen. Das gelingt selbst den meisten Bundesliga-Spielen der Männer nicht. Auch wenn Fußball auf den vorderen Kanälen läuft, braucht es schon sehr attraktive Namen, um beeindruckende Quoten zu erzielen. Dass es aber mit richtigen Anstoßzeiten und der entsprechenden Sichtbarkeit möglich ist, zeigte Bayern gegen Hoffenheim im letzten Jahr. Die ARD erreichte an einem Sonntag um 18 Uhr 1,53 Millionen Menschen. Immerhin.

Die Champions League der Frauen hat zudem bewiesen, dass ein deutliches Wachstum möglich ist, wenn sich der Verband einerseits und die übertragenden Kanäle andererseits Mühe geben. Über 300.000 Menschen haben Bayerns Viertelfinal-Rückspiel gegen Paris Saint-Germain alleine bei YouTube gesehen. Auch weniger klangvolle Spiele kommen auf gute Zahlen. Hinzu kommen die User:innen aus der App.

Nach eigenen Angaben hat DAZN einen großen Zuwachs auf dem deutschen Markt erfahren, was den Fußball der Frauen anbelangt. Das sind gute Indikatoren für die Zukunft. Das große Problem in Deutschland wird sein, dass die Bundesliga der Frauen auch in der kommenden Saison nahezu komplett hinter der Paywall liegen wird.

Bundesliga: Der biedere Alltag winkt

Es wird zudem auch in der Produktion ein großer Unterschied zur Europameisterschaft zu erkennen sein. Almuth Schult hat bereits mehrfach erklärt, dass ein Fußballspiel noch so gut sein kann. Wenn letztendlich nur ein, zwei Kameras im Stadion sind, sieht es im Fernsehen immer schlecht aus. Word.

Nun liegt das nicht allein an den übertragenden Sendern. Die Infrastruktur gibt manchmal zu wenig her. Trotzdem wünsche ich mir deutlich mehr Wertschätzung für diese tolle Liga, in der nicht nur Bayern und Wolfsburg kicken, sondern viele hochklassige und spannende Teams mit großartigen Talenten.

Fünf Minuten vor Anpfiff reinschalten und zwei schnelle Interviews nach dem Spiel zu führen, ist für mich nicht mehr tragbar. Es wird Zeit, dass die Produktion rund um die Bundesliga hochfährt. Und da hat der DFB einige entscheidende Hebel in der Hand. Es ist zu wenig, sich einzig und allein auf die Aktionen der Klubs zu verlassen. Frankfurt zieht zum Auftakt gegen Bayern in die große Arena. Cool! Aber was wird der DFB konkret tun, um das zu pushen und zu unterstützen? Und wie greift er anderen Klubs unter die Arme, die weniger strukturelle und finanzielle Möglichkeiten haben?

Es wird wohl nicht viele Leute geben, die die Hürde der Paywall hin zu MagentaSport nehmen, wenn sie dieses Abo nicht anderweitig verwenden wollen/können. Das, was Österreich und Deutschland gezeigt haben, kann man nahezu jede Woche sehen – wenn es denn sichtbar wird. Wenn endlich mal Marketing, Produktion und Unterstützung von Seiten des Verbands Hand in Hand funktionieren. Die Zeit der stiefmütterlichen Behandlung sollte vorbei sein. Ich fürchte nur, dass auch nach diesem großartigen Turnier wieder der biedere Alltag kommt. Am Wachstumspotenzial des Fußballs der Frauen liegt es jedenfalls nicht. Und an der Qualität der Bundesliga sowieso nicht.

Die Präsentation des Produkts ist entscheidend

Die Präsentation des Produkts ist entscheidend. Immer wieder lese ich in Kommentarspalten (ich sollte mir das wirklich abgewöhnen) die Unwörter “Angebot und Nachfrage”. Als wären das ein gegebener Zustand, der unabhängig von allen äußeren Einflüssen ist. Richtig ist: Beides ist abhängig voneinander. Geringere Nachfrage kann zu weniger Angebot führen.

Wenn ich als Supermarkt meinen Tofu nicht verkauft bekomme, dann ist der Gedanke naheliegend, dass das Produkt vielleicht nicht gut genug ist. Allerdings sollte ich stutzig werden, wenn es anderen Supermärkten gelingt, dasselbe Produkt deutlich besser zu verkaufen. Vielleicht sollte ich dann mal nachsehen, wie die ihr Produkt platzieren. Und vielleicht kann Sichtbarkeit auf der einen Seite, aber auch kluge Werbung auf der anderen Seite helfen, Vorurteile und Skepsis abzubauen.

Und mal ganz unter uns: Das einzig geschmacklose an Tofu sind die Leute, die ihn nicht zubereiten können und sich dann darüber beschweren, dass er nach nichts schmeckt. Beißt ihr auch in rohe Kartoffeln?

Die heutige Veganalyse wurde Ihnen präsentiert von … egal. Auf zum dritten Viertelfinale.

Ausblick auf den EM-Tag

Schweden gegen Belgien steht heute (21.00 Uhr, ARD) auf dem Programm. Eine eigentlich deutliche Angelegenheit. Hier könnt ihr ein bisschen was darüber lesen.

Weitere Beobachtungen

  • Lena Oberdorf hat eine sensationelle Leistung abgeliefert, die ich in meinem Text für 1&1 heute auch entsprechend würdige. Außerdem lest ihr dort, was ich noch so vom Spiel des deutschen Teams gegen Österreich gehalten habe.
  • Manuela Zinsberger hat dieses Turnier nun mit einem kleinen und einem großen Fehler beendet. Das ist schade, denn ihre Leistung bei diesem Turnier war sehr stark. Das sollte nicht durch diese beiden Szenen getrübt werden.
  • Die Stimmung in den Stadien ist weiterhin überragend. Ich bin schon sehr gespannt auf die Halbfinals. England gegen Schweden (wenn sie denn weiterkommen) könnte für eine großartige Atmosphäre sorgen. Denn die Schwedinnen haben ja sehr viele Fans in England mit dabei.

Hör- und Leseempfehlungen

Hier geht es zu meiner letzten EM-Notiz.

Bild: © Canva




Justin Kraft

Quereinsteiger im Bereich Sportjournalismus. Blogger, Podcaster, Autor. Taktik-, Team- und Spieler:innenanalysen sowie Spielberichte zählen zu meinen Kernkompetenzen. Mein Antrieb ist es, die komplexe Dimension des Spiels zu verstehen und meine Erkenntnisse möglichst verständlich weiterzugeben. Journalistisch. Analytisch. Fundiert.

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