Notizen zum Fußball #001: Große Unterhaltung am 6. Bundesliga-Spieltag!
Schon nach sechs Spieltagen deutet sich eine sehr spannende Bundesliga-Saison bei den Frauen an. Sowohl der langjährig dominierende VfL Wolfsburg als auch die amtierenden Meisterinnen des FC Bayern München patzen – was zu einer interessanten Tabellenkonstellation führt.
In „Notizen zum Fußball“ werde ich mal mehr, mal weniger regelmäßig über die Entwicklungen im Frauenfußball schreiben und meinen Notizen, die ich sowieso jeden Tag in mein iPad kritzle, etwas Struktur geben.
Ein valider Kritikpunkt am durch Frauen gespielten Profifußball der letzten Jahre ist, dass der Abstand zwischen den absoluten Spitzenteams und dem Rest riesig ist. In Deutschland hat der VfL Wolfsburg in den vergangenen Spielzeiten den überwiegenden Teil aller Titel gewonnen, international dominierte Olympique Lyon die Champions League. Aber diese Zeiten scheinen vorbei zu sein – und das nicht nur, weil der FC Bayern München die Deutsche Meisterschaft und der FC Barcelona die Champions League gewonnen haben.
Der sechste Spieltag der Frauen-Bundesliga unterstreicht, dass die Qualität auch in der Breite zugenommen hat. Sowohl Wolfsburg als auch die Bayern haben an einem Spieltag verloren. Wann es das zuletzt gab? Keine Ahnung, aber es dürfte eine Weile her sein.
Bezwungen wurden sie von der TSG Hoffenheim und Eintracht Frankfurt. Zwei Teams, deren Aufstieg sich zuletzt angedeutet hatte. Beide setzen auf junge Spielerinnen und klare Spielkonzepte, die sich zwar voneinander unterscheiden, aber jeweils zu klarem Wiedererkennungswert geführt haben.
Hoffenheim schlägt Wolfsburg: Fußball statt Zufall
Hoffenheims Kader ist mit durchschnittlich 23 Jahren der drittjüngste in der Bundesliga. Mit Trainer Gabor Gallai zog im Sommer 2020 aber vor allem eine klar strukturierte und offensiv ausgerichtete Spielweise ein. Es wird offensichtlich viel Wert auf spielerische Qualitäten gelegt. Hoffenheim traut sich auch gegen die Top-Teams der Welt zu, sich mit Kurzpässen aus hohem Pressing zu befreien. Das führt frei nach dem Motto „sometimes you win and sometimes you learn“ dazu, dass sie hin und wieder ins offene Messer laufen – wie gegen Bayern und Arsenal zuletzt. Aber es führt auf der anderen Seite in den guten Phasen zu attraktivem und unterhaltsamem Fußball, der an Top-Teams wie eben Wolfsburg an die Grenzen und darüber hinaus bringt.
Gerade vor dem 1:0-Führungstreffer durch Billa wird die Entwicklung deutlich. Hoffenheim lässt den Ball mit 17 Pässen laufen, was gegen Wolfsburgs Pressing keinesfalls selbstverständlich ist. Dann entsteht folgende Situation:
In Ballnähe haben sie eine hervorragende Grundstruktur, die es Wolfsburg einerseits schwer macht, überhaupt an den Ball zu kommen und andererseits selbst bei einem Ballverlust ein gutes Gegenpressing ermöglichen könnte – zumindest am Flügel. Denn auffällig ist natürlich, dass zwei Spielerinnen ballfern extrem breit stehen. Einmal Franziska Harsch (vorn) und Linksverteidigerin Katharina Naschenweng, die zum Hinterlaufen ansetzt.
Durch die Überladung der TSG auf der ballnahen Seite verschiebt Wolfsburg so stark, dass die ballferne Außenverteidigerin (rot markiert) fast in der Mitte des Spielfelds positioniert ist. Der 18. Pass ist eine Verlagerung, die den grünen Raum für Hoffenheim öffnet. Pass 19 schickt Naschenweng in den Strafraum, wo sie zwei Eins-gegen-eins-Situationen für sich entscheidet und mit dem 20. Pass auf Nicole Billa querlegt – Führung!
Die Bundesliga kann Überraschung
Ein klasse Spielzug, der nicht aus einer Kontersituation oder zufälliger Schwäche des VfL Wolfsburg resultiert ist, sondern vor allem aus der Qualität der TSG – taktisch und technisch. Gerade weil Hoffenheim im Sommer einige Abgänge zu verzeichnen hatte, war mit einem derart ordentlichen Saisonstart nicht zwingend zu rechnen. Allerdings scheinen sie die Verluste mittlerweile gut aufgefangen zu haben.
Der Sieg gegen Wolfsburg ist nochmal beeindruckender, wenn man den Start in die zweite Halbzeit berücksichtigt. Dem schnellen Ausgleich folgte eine Druckphase mit vielen Standards für die Wölfinnen. Hoffenheim aber kämpfte sich aus einer problematischen Tiefenverteidigung wieder nach vorn und setzte immer wieder gefährliche Nadelstiche durch Kontersituationen.
Damit verdienten sie sich den 2:1-Führungstreffer letztendlich mit viel Leidenschaft und taktischer Disziplin. Ein Ausrufezeichen, das eindeutig zeigt, dass es auch hinter Wolfsburg und den Bayern Teams gibt, die mit Ambitionen und Qualität auf sich aufmerksam machen können.
Frankfurt schlägt Bayern: Bollwerk gegen Stückwerk
Moment! Teams? Plural? Ja, genau. Denn es sollte nicht die einzige kleine Überraschung des Nachmittags bleiben. Auch Eintracht Frankfurt gelang es, einen unerwarteten Sieg einzufahren. Die SGE griff dafür auf etwas andere taktische Mittel zurück als Hoffenheim zuvor gegen Wolfsburg und konzentrierte sich vor allem auf das, was sie so gut machen wie fast kein anderes Team in der Bundesliga: Verteidigen.
In einer meist tiefen 4-4-1-1-Grundausrichtung verdichteten sie vor allem das Mittelfeldzentrum, blieben dabei aber nicht passiv und abwartend. Eröffneten die Bayern auf die Flügel, schob die Eintracht aggressiv heraus, hielt dabei aber durch kluges Nachrücken eine kompakte Formation. Doch auch wenn die Münchnerinnen mal einen Weg ins Zentrum fanden, schob Frankfurt gut nach. Bayern fand kaum Räume. Es mag bei der Bilanz der Roten absurd anmuten, doch tatsächlich fällt es ihnen schwer, Spiele über strukturelle Dominanz zu kontrollieren (=> hier mehr dazu) und das hat die SGE in diesem Spiel gut ausgenutzt.
Gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte gelingt es den Bayern nahezu mit Leichtigkeit, die individuelle Überlegenheit auszuspielen. Beim 0:0 gegen Benfica in der Women’s Champions League hingegen wurde erstmals deutlich, dass sie ihr eigentlich hochklassiges Mittelfeld nicht ins Spiel bekommen, wenn Gegnerinnen das Zentrum kompakt und aggressiv mit Spielerinnen verteidigen, die sich nicht so leicht aus ihren Positionen ziehen lassen und vor allem physisch eine gewisse Grundqualität mitbringen. Frankfurt verbuchte allein durch die abermals stark aufspielende Sjoeke Nüsken zahlreiche Ballgewinne.
Über nahezu 90 Minuten hinweg agierte die SGE stabil, ließ verhältnismäßig wenig zu und nutzte vor allem die großen Abstände der Bayern-Spielerinnen bei eigenen Ballgewinnen clever für sich. Es entwickelte sich ein aus Bayern-Sicht zerfahrenes Spiel, das durch den 0:1-Rückstand nochmal verkompliziert wurde. Dank zweier starker Einzelaktionen der eingewechselten Klara Bühl (siehe unten) und den Abschlüssen von Maximiliane Rall schienen die Münchnerinnen abermals mit einem blauen Auge davon zu kommen.
Dann aber wurde es spektakulär. Frankfurt presste wieder höher, zwang Bayern zu auf diesem Niveau eigentlich kaum denkbaren Fehlern und drehte das Spiel. Zwar bleiben die Münchnerinnen an der Tabellenspitze, doch diese Leistung sollte ihnen zu denken geben. Wer so viel Qualität im Kader hat, muss auch gegen defensiv stabile Gegnerinnen in der Lage sein, mehr Lösungen zu entwickeln – vor allem im strukturellen Bereich. Die Art und Weise, wie die Bayern die Bälle verloren haben, ist nicht allein auf die Tagesform einzelner Spielerinnen zurückzuführen. Frankfurt hat schlicht taktische Defizite bei den amtierenden Meisterinnen offenbart, die es so auch schon bei Siegen auftraten.
Die Tabelle der Bundesliga sagt mehr als tausend Worte
Für die Bundesliga ist es jedenfalls ein großer Zwischenerfolg, dass die beiden Favoritinnen auf den Meistertitel besiegt wurden. Ein Blick auf die Tabelle offenbart eine Tendenz, die sich hoffentlich im Saisonverlauf bestätigt:
Gleich drei Teams stehen mit 15 Punkten an der Spitze, gefolgt von Wolfsburg und Hoffenheim, die jeweils 13 Punkte haben und Turbine Potsdam, die sich trotz zweier Niederlagen wacker in Schlagdistanz halten. Klar ist auch, dass das Tabellenende nach wie vor sehr weit von der Spitze entfernt ist. Trotzdem ist die Momentaufnahme als erfrischende Abwechslung zu werten.
Es bleibt abzuwarten, wie lange Leverkusen, Frankfurt, Hoffenheim und Potsdam dieses Tempo halten können, aber für eine Überraschung sind sie alle gut – und vielleicht auch für mehr. Der sechste Spieltag der Bundesliga hat dieses Potential jedenfalls offenbart.
Randnotizen
- Laura Freigangs Verlängerung unter der Woche ist ebenfalls als Statement zu bewerten. Eine Spielerin ihrer Qualität hätte sicher einen Klub gefunden, der ernsthafte Ambitionen in der Champions League anmeldet. Dass die 23-Jährige dennoch einen Vertrag bis 2025 in Frankfurt unterschrieben hat, ist ein positives Zeichen in mehrfacher Hinsicht. Erstens wird das ernsthafte Interesse der SGE daran unterstrichen, im Frauenfußball eine Rolle spielen zu wollen. Zweitens bekennt sich die Stürmerin damit zur positiven Entwicklung der Eintracht und bringt die Geduld mit, diese noch etwas länger mitzugehen. Und Drittens bleibt eine sehr gute Fußballerin der Bundesliga womöglich noch etwas erhalten.
- Giulia Gwinns taktische Rolle gegen Häcken in der Champions League und jetzt gegen Frankfurt in der Bundesliga war interessant zu beobachten. Als Linksverteidigerin agiert sie normalerweise recht konservativ und breit. In den vergangenen Partien habe ich sie jedoch überdurchschnittlich oft in zentralen Zonen des Spielfelds wahrgenommen – meist als zusätzliche Option um Stürmerin Lea Schüller herum. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob das eine taktische Vorgabe/Veränderung ist, oder ob das eher intuitiv durch ihre Dribblings geschieht. In jedem Fall könnten die Bayern aber mehr Präsenz im Mittelfeldzentrum vertragen, denn dort ist ordentlich Sand im Getriebe.
- Klara Bühl verdient für ihre Leistung nach der Einwechslung in Frankfurt ein Sonderlob. Nachdem sie zuletzt einige Zeit verletzt fehlte, gab sie nun ihr Comeback – und wie! Mit zwei sehenswerten Dribblings brachte sie die Bayern trotz insgesamt schwacher Teamleistung auf die Siegerstraße. Dass sie diese noch verlassen haben, lag sicher nicht an ihr. Wie sie ein an diesem Nachmittag kaum funktionierendes Team wiederbelebt hat, wird man in München aber gern zur Kenntnis genommen haben. Eine weitere Option im ohnehin schon üppig besetzten Kader der Bayern.
- Nachdem Freiburg in einer umkämpften Partie gegen Wolfsburg ein 1:1 erringen konnte, ging ich davon aus, dass der Knoten endlich geplatzt wäre. Denn Freiburg zählt qualitativ eher zu jenen Teams, die um den Anschluss ans obere Drittel in der Tabelle kämpfen. Mit erst vier Punkten aus sechs Partien sind sie aber unerwartet schwach gestartet. Gegen Leverkusen sah es über weite Strecken dabei gar nicht so schlecht aus. Vor allem im Mittelfeldzentrum hielten sie die Abstände zueinander diszipliniert, was Leverkusen zu einigen einfachen Ballverlusten zwang. Problematisch allerdings: Die Chancenverwertung. Bis auf Hasret Kayikci gibt es keine verlässliche Torjägerin im Team – fünf der bisher neun Treffer erzielte sie. Gegen Leverkusen reichte es trotz guter Teamleistung deshalb nur zu einem Treffer: Juliane Wirtz erzielte ein Eigentor. Die 1:2-Niederlage bringt Freiburg in weitere Schwierigkeiten.
- Im Tabellenkeller sammelt Bremen gegen die SGS Essen Big Points. Lina Hausicke erlöst die Grün-Weißen in der 69. Minute und macht das Tor des Abends. Der erste Saisonsieg kommt etwas überraschend und war in der Summe auch eher glücklich. Allein in der ersten Halbzeit ließ Essen drei Großchancen liegen. Das wird den Bremerinnen letztendlich aber egal sein. Vor der bisher wichtigsten Saisonphase sollte dieser Sieg Selbstbewusstsein geben. In Pokal und Liga geht es jetzt zweimal gegen den Tabellenletzten aus Sand und anschließend warten mit Freiburg und Köln zwei aktuell durchaus lösbare Aufgaben. Dafür muss Werder aber vor allem die Abstände zwischen den Ketten in den Griff bekommen. Auch wenn sie individuell in den meisten Duellen unterlegen sind, können sie taktisch mit mehr Geschlossenheit noch mehr aus ihrer Situation herausholen.
- Potsdam entpuppt sich immer mehr als eines der besten Konterteams der Liga. Selbst gegen den tief verteidigenden SC Sand gelang es ihnen überraschend häufig, sich Räume durch offensive Umschaltsituationen zu erarbeiten. Insbesondere Selina Cerci und Sophie Weidauer sind mir in den letzten Wochen mit ihrem Tempo und ihrer technischen Qualität aufgefallen. Ein Blick auf die Torjägerinnen des Teams verrät auch, wie ausgeglichen die bisher 14 Treffer verteilt sind. Kann Potsdam sich defensiv stabilisieren und vor dem Tor etwas kaltschnäuziger werden, ist mit ihnen vielleicht im oberen Drittel zu rechnen.
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