Notizen zum Fußball #002: In der Champions League deutschlich abgehängt?

Veröffentlicht von Justin Kraft am

Am dritten Spieltag der neuen Champions-League-Gruppenphase konnte kein deutsches Team einen Sieg holen. Sowohl Hoffenheim als auch Bayern verloren mehr oder weniger deutlich, Wolfsburg musste einen späten Ausgleich in Turin hinnehmen. Ein erstes Zeichen für eine unschöne Entwicklung? Zumal ein anderes Team weiterhin zu überzeugen weiß.

In „Notizen zum Fußball“ werde ich mal mehr, mal weniger regelmäßig über die Entwicklungen im Frauenfußball schreiben und meinen Notizen, die ich sowieso jeden Tag in mein iPad kritzle, etwas Struktur geben.

Die neue Gruppenphase der Women’s Champions League ist bereits drei Spieltage alt und erhält zurecht viel Aufmerksamkeit. Schon jetzt zeigt sich, dass die Modusveränderung ein Erfolg ist. Auch weil es eine große Bandbreite an attraktiven Begegnungen gab, die für viele Tore und Spektakel gesorgt haben.

Teil dessen waren selbstverständlich auch die deutschen Teams. Die TSG Hoffenheim in einer Gruppe mit zwei der formstärksten Teams in Europa – Arsenal und Barcelona. Wolfsburg misst sich mit Top-Team Chelsea und einem ambitionierten Juventus Turin. Bayern hat es wiederum mit dem dominanten Klub der vergangenen Dekade zu tun: Olympique Lyon.

Für die deutschen Teams sieht es beim Blick auf die Ergebnisse durchwachsen aus: Wolfsburg (5 Punkte) und Bayern (4 Punkte) stehen jeweils auf Platz 2, Hoffenheim auf Platz 3 (3 Punkte).

Hoffenheim lernt noch

Beim jungen und talentierten Hoffenheim-Team dürfte sich die Enttäuschung dennoch eher in Grenzen halten. Die Erfahrung, sich überhaupt in einen Wettkampf mit Arsenal und den Titelverteidigerinnen Barcelona zu begeben, ist mehr wert als jede Zahl, die letztendlich in der Tabelle stehen wird. Dafür haben sie sich mitunter sogar gut geschlagen. Bei der deutlichen Niederlage gegen Arsenal gab es beispielsweise die große Möglichkeit, in Führung zu gehen. Aber Billa vergab.

Der 5:0-Sieg über HB Køge zum Auftakt war wichtig und verdient. Spielerisch ist die TSG gerade dabei, sich einerseits nochmal weiterzuentwickeln, andererseits aber auch die Abgänge des Sommers zu kompensieren. Deshalb sind die Leistungen auch wechselhaft. Taktisch ist das Team von Gabor Gallai aber auf mutigen und attraktiven Offensivfußball ausgerichtet und weiß .

Gegen individuell deutlich stärker besetzte Teams wie Arsenal, Bayern oder jetzt zuletzt Barcelona kann das aber auch mal mächtig nach hinten losgehen. Gerade gegen Barça war am vergangenen Spieltag relativ wenig von der mutigen Spielweise zu sehen. Dennoch helfen vor allem solche Erfahrungen den überwiegend jungen Spielerinnen, einen nächsten Entwicklungsschritt zu vollziehen.

Mehr zu Hoffenheim gibt es hier.

FC Barcelona: Topfavoritinnen?

Zumal der Niveauunterschied insbesondere zum FC Barcelona auf allen Ebenen enorm ist. Die amtierenden Champions-League-Siegerinnen haben ihre Gruppe bisher überrollt. Selbst das formstarke Arsenal kam mit 1:4 unter die Räder. Zwei Komponenten stechen bei ihnen im Vergleich zu allen anderen Teams besonders hervor: Die technische Sauberkeit ihrer Aktionen und die taktische Struktur, die ihnen solch dominante Leistungen ermöglicht.

Gegen den Ball agieren sie mit einem sehr hohen und aggressiven Pressing, teilweise in einem 4-2-4, in dem die Räume rechts und links von der Doppelsechs ballnah noch durch die Außenverteidigerinnen aufgefüllt werden. Sie lenken ihre Gegnerinnen früh auf die Außenbahn, stellen das Zentrum zu und erzwingen häufig unkontrollierte Zuspiele, die ihnen folglich den Ballbesitz bringen.

Mit dem Ball agieren sie in einem sehr offensiven 4-3-3-System – teilweise mit fünf bis sechs Spielerinnen in der letzten Linie.

Beide Außenverteidigerinnen schieben hoch, während die Flügelspielerinnen einrücken. Trotzdem schaffen sie es, im zentralen Mittelfeld immer wieder eine gute Unterstützung für die ballführende Mitspielerin anzubieten. Wie vor dem 3:0 gegen Hoffenheim:

Die Rautenbildung am Flügel führt dazu, dass Hoffenheim keinerlei Druck auf den Ball bekommt und selbst wenn der Ball verloren ginge, würde Barcelona mit dieser Positionierung gut ins Gegenpressing kommen. Was das Team aber auszeichnet: Abläufe. Sie spielen größtenteils lange zusammen und haben eine klare Idee davon, was als nächstes auf dem Platz passieren wird. Hier lässt sich das wunderbar anhand des Laufweges durch die zentrale Mittelfeldspielerin Alexia Putellas zeigen.

Durch diese gut durchdachten Tiefenläufe wird Hoffenheim hinten für einen Moment gebunden, vor allem aber wird ein langer Ball vorbereitet.

Barça läuft mit mehreren Spielerinnen in die Tiefe und positioniert sich dabei teilweise perfekt zwischen zwei Gegenspielerinnen, was eine Zuordnung bei Hoffenheim erschwert. Beim Abschluss hat Putellas schließlich Glück. Trotzdem zeigt sich anhand solcher Szenen wie flexibel Barcelona spielt und wie viel Struktur und Plan hinter nahezu jedem Angriff stecken.

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Die Suche nach alter Dominanz beim VfL Wolfsburg

Davon sind Wolfsburg und Bayern in Deutschland noch ein gutes Stück entfernt. Beide haben mit unterschiedlich gelagerten Problemen zu kämpfen. Bei den Wolfsburgerinnen fehlen wichtige Spielerinnen wie Popp oder Pajor. Außerdem hatten sie im Sommer einen Trainerwechsel, weshalb sich die taktischen Probleme ein Stück weit relativieren lassen.

Eines dieser Probleme ist das Verschieben im Pressing. Vor dem ersten Tor von Juventus beispielsweise versuchten die Wolfsburgerinnen, ihre Gegnerinnen am Flügel zu isolieren und dort den Ball zu gewinnen. Es gibt Trainer:innen, die ihr Team dafür diagonal anlaufen lassen, wo die Viererkette im Mittelfeld also beispielsweise ballfern etwas höher agiert, um Passwege ins Zentrum zu erschweren. In diesem Beispiel aber öffnet sich aufgrund zweier Probleme der Raum zwischen den Ketten zu sehr:

  • Die beiden Sechserinnen stehen zu nah beieinander
  • Ballfern schiebt Svenja Huth (linkes Mittelfeld) quasi ins Nichts

Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass Wolfsburg in Ballnähe keinen wirklichen Druck erzeugt. Juventus hat hier mindestens Gleichzahl und die ballführende Spielerin kann andribbeln und schließlich die rot markierte Mitspielerin zwischen den Linien anspielen.

Auch in einer weiteren Szene kam es zum gleichen Problem: Sechserinnen zu nah beieinander, Zwischenraum extrem offen. Juventus macht aber den Fehler, den Ball lang zu schlagen.

Wolfsburg schafft es mit diesen strukturellen Problemen nicht, die vorhandene individuelle Klasse in ausreichende Dominanz umzumünzen. Für alle, die den Fußball der Frauen nicht so aktiv verfolgen, ist es zusätzlich wichtig zu erwähnen, dass Juventus zwar durchaus Ambitionen für die Zukunft hat, aber nicht zu den Top-Teams in Europa zählt. Insofern kann Wolfsburg mit der gezeigten Leistung nicht zufrieden sein. Auch wenn der 2:2-Ausgleichstreffer der Italinerinnen am Ende eine seltsame Mischung aus Glück und Unvermögen der Wolfsbrugerinnen war, so war das insgesamt zu wenig.

Bayerns strukturelle Probleme

Zu wenig trifft auf die Bayern ebenfalls zu. Gegen Lyon hatten sie sich viel vorgenommen, um letztendlich doch eine sehr enttäuschende Leistung zu zeigen. Von Beginn an verteidigten sie mit zwei tiefen Viererketten am eigenen Strafraum und konnten sich von da auch nicht mehr wirklich lösen. Der zwischenzeitliche Führungstreffer resultierte aus einem Standard und war sehr schmeichelhaft.

Bayerns Probleme sind vielfältig. Dass sie in großen Spielen zu einer zurückhaltenden Spielweise neigen, ist durchaus diskutabel. Gerade in dieser Saison, wo man erstmals den Anspruch angemeldet hat, auch in der Champions League zu den Favoritenteams zählen zu wollen, hätte man sich durchaus mehr Mut erhoffen können. Es ist durchaus eine Option, auswärts bei Lyon ein wenig defensiver aufzutreten, aber Bayern schaffte es nicht, sich aus dem Druck der Gegnerinnen zu befreien.

Und hier zeigen sich letztendlich Schwächen, die die Bayern auch in der Bundesliga verfolgen, dort aber weniger bestraft werden. Beispielsweise die Positionierung im Spielaufbau. Lyon hat zahlreiche Ballgewinne verbucht, viele davon in gefährlichen Räumen in der Hälfte des FC Bayern. Neben der offensichtlichen Folge, dass Lyon dadurch gute Chancen auf eine Torerzielung erhält, führt es auch dazu, dass die Münchnerinnen keine Entlastung finden, weil sie zu selten den Ball laufen lassen (können).

Beispielhaft dafür ist diese Szene aus der 4. Spielminute:

Die Auftaktbewegung von Zadrazil im Zentrum ist gut, um sich zwischen den beiden anlaufenden Stürmerinnen anzubieten. Sie bekommt den Ball und lässt sofort auf die breit stehende Wenninger klatschen:

Interessant sind hier bereits zwei Aspekte:

  • Warum dreht sie nicht auf?
  • Warum stehen die Bayern in ihrem Spielaufbau derart breit, dass ballfern zwei Spielerinnen und auf der ballnahen Seite drei Spielerinnen auf dem Flügel positioniert sind? Ja, Lyon wird dadurch in die Breite gezogen, aber wenn es kein Angebot im Zentrum gibt, helfen diese Abstände auch wenig. Bei Ballverlusten steht man im Gegenteil noch zu schlecht, um sofort Zugriff auf die Gegnerinnen zu bekommen.

Gerade der zweite Punkt ist vor dem Hintergrund interessant, was Zadrazil als nächstes macht: Nämlich ebenfalls auf den Flügel rennen. Was will sie damit bezwecken? Denkt sie, dass hinter ihr Magull nachrückt? Will sie sich selbst irgendwie anbieten?

Die Folge ist, dass drei Spielerinnen in einem Deckungsschatten stehen und Wenninger an ihrer Gegenspielerin hängen bleibt. Der Raum im Zentrum ist riesig, die eigene Struktur denkbar ungünstig für einen Ballverlust. Allein in der ersten Halbzeit gegen Lyon gibt es mehrere solcher Beispiele, in denen das Ballbesitzspiel der Bayern einfach nicht abgestimmt wirkt. Das, was ich weiter oben dem FC Barcelona attestierte, also durchdachtes und vorausschauendes Spiel mit dem Ball, trifft auf die Bayern deutlich seltener zu. Dabei spielen auch sie größtenteils schon länger zusammen.

Für die deutschen Teams gibt es dementsprechend einiges aufzuholen. Aber auch das ist ein großer Vorteil der neuen Gruppenphase: Man misst sich früh mit den Besten, ohne sofort ein Ausscheiden im Wettbewerb zu riskieren.

Randnotizen

  • DAZN macht einen großartigen Job. Die Präsentation des Frauenfußballs ist häufig ein Problem, aber die Art und Weise, wie der Streamingdienst das angeht, ist fortschrittlich und respektvoll. Im Vergleich zu allen anderen Medien und Anbietern, die sich Rechte in Deutschland gesichert haben, ist DAZN auf einem ganz anderen Niveau. Dabei machen sie nur das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Vorbereitung, Detailtiefe und genug Raum zur Entfaltung.
  • Die Schlussfolgerung aus den jüngsten Auftritten der deutschen Teams könnte sein, dass es die logische Konsequenz aus der verpassten Entwicklung insgesamt in den letzten Jahren ist. Ganz so einfach ist das aber auch nicht. Die Bayern und auch Wolfsburg haben in der jüngeren Vergangenheit großartige Leistungen gezeigt. Das Potential beider Teams ist riesig. Es wäre insofern falsch, die Schuld ausschließlich bei den Missständen im deutschen Frauenfußball zu suchen. Trotz allem haben sie Kader, die auch in Europa konkurrenzfähig sein sollten. Der Weg scheint dennoch weit zu sein und das gilt es jeweils intern unter die Lupe zu nehmen.
  • Lyon muss aktuell auf die eine oder andere wichtige Spielerin verzichten, aber wirklich überzeugend haben auch sie nicht gespielt. Eine schwache Passquote im Mittelfeld und ein zerfahrenes offensives Umschaltspiel haben die Partie gegen Bayern letztendlich enger aussehen lassen, als sie war. Eigentlich bieten sie genug Angriffsfläche an, aber die Frage ist, ob die Münchnerinnen das für das Rückspiel realisieren.
  • Paris Saint-Germain machte zuletzt neben dem Platz Schlagzeilen. Eine Spielerin soll ein Attentat auf eine Mitspielerin in Auftrag gegeben haben. Dabei sieht es sportlich bei ihnen aktuell recht gut aus. In der Champions League stehen sie in einer Gruppe mit Real Madrid auf dem ersten Platz. Neun Punkte und 11:0 Tore sprechen für sich. Es bleibt abzuwarten, welche Folgen die Vorkommnisse haben, aber rein sportlich betrachtet läuft PSG manchmal etwas unter dem Radar, wenn es um die Favoritinnen auf den Titel geht.

Justin Kraft

Quereinsteiger im Bereich Sportjournalismus. Blogger, Podcaster, Autor. Taktik-, Team- und Spieler:innenanalysen sowie Spielberichte zählen zu meinen Kernkompetenzen. Mein Antrieb ist es, die komplexe Dimension des Spiels zu verstehen und meine Erkenntnisse möglichst verständlich weiterzugeben. Journalistisch. Analytisch. Fundiert.

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