EM-Notizen, Tag 14: Zwischenfazit – die Popps und Flops der Gruppenphase

Veröffentlicht von Justin Kraft am

Die Gruppenphase ist vorbei und die Europameisterschaft in England kommt jetzt in die heiße Phase. Am Ruhetag ziehe ich ein Zwischenfazit – und küre meine bisherigen Tops und Flops des Turniers.

Nur noch sieben Spiele, dann wissen wir, wer die Europameisterschaft in England gewinnt. Schon das Viertelfinale verspricht einige hochkarätige Duelle. In der Gruppenphase gab es einige Überraschungen, ein paar erwartbare Favoritinnensiege und die eine oder andere große Enttäuschung.

In der heutigen EM-Notiz möchte ich diese fantastischen 13 Tage Europameisterschaft nochmal hochleben lassen, die hinter uns liegen.

Wer war die Spielerin der Gruppenphase? Wie sieht meine Top-Elf aus? Welches Team ist die große Überraschung und wer enttäuschte auf ganzer Linie? Let’s go! Ich beginne mit den “schlechten” Nachrichten.

Newsletter

Ich sende keinen Spam! Erfahren Sie mehr in meiner Datenschutzerklärung.

Zwischenfazit der Gruppenphase: Die Flops

Enttäuschung der EM

An Norwegen führt hier selbstredend kein Weg vorbei. Die Norwegerinnen haben es nicht geschafft, ihre vorhandene individuelle Qualität in eine entsprechende Teamleistung umzumünzen. Zwar wurde die Defensive zu Recht für einige Probleme verantwortlich gemacht. Trainer Martin Sjögren hat zu viele Spielerinnen in Positionen eingesetzt, die nicht ihren Stärken entsprechen.

Gleichzeitig war ich vor allem von Mittelfeld und Offensive enttäuscht. Ada Hegerberg, Guro Reiten, Ingrid Syrstad Engen, Caroline Graham Hansen – das war das Quartett, von dem ich erwartet hatte, dass es Verantwortung übernimmt. Aus meiner Sicht ist es ihnen nicht gelungen.

Da stand kein Team auf dem Platz. Und so ist es folgerichtig, dass sie letztendlich sehr deutlich ausgeschieden sind. Martin Sjögren ist mittlerweile zurückgetreten. Man darf gespannt sein, wer auf ihn folgt – und ob Norwegen ein Neuanfang gelingt.

Unerfülltes Versprechen der Gruppenphase

Italien scheidet mit nur einem Punkt auf dem letzten Platz der Gruppe D aus. Das als Enttäuschung zu bezeichnen, wäre vielleicht einen Tick zu hart. Gleichzeitig ist der Anspruch an die Azzurre in den letzten Jahren und Monaten gewachsen. Es ist ein großer Rückschlag für den italienischen Fußball der Frauen, der mich aber nicht nachhaltig besorgt.

Zwar hätte eine erfolgreiche EM die Entwicklung im Land wohl nochmal beschleunigt, in den vergangenen Monaten wurden aber einige gute Entscheidungen getroffen. Beispielsweise die Professionalisierung der Serie A.

Ich hatte mir von Italien erhofft, dass sie ihren erfrischenden Fußball auch in England auf den Platz bekommen. Leider fanden sie nie so richtig zu ihrem offensiven Kombinationsfußball – und zogen so den Kürzeren gegen Belgien und Island.

Berichterstattung in Deutschland mit Licht und Schatten

Ein reiner Flop ist die Berichterstattung in Deutschland nicht. Dafür gibt es zu viele Positivbeispiele. Das ZDF hat, wenn sie sich den Raum vor und zwischen den Spielen genommen haben, einen tollen Job gemacht. Sie haben viele Themen beleuchtet, gut informiert und für Abwechslung bei den Expert:innen gesorgt. Auch die Stimmung in den Stadien wurde gut transportiert.

Auch bei Print- und Onlinemedien gab es die eine oder andere Perle, wie ihr meinen Hör- und Leseempfehlungen vielleicht entnehmen konntet. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die EM-Stimmung bisher nicht so richtig übergeschwappt ist. Bisher wird sehr viel rund um die Euro von den jeweiligen Agenturen (SID oder dpa) übernommen.

Das ist schade, weil ich in den sozialen Netzwerken immer wieder tolle Bilder und Videos sehe und einige ausländische Journalist:innen vor Ort viel transportieren können. Hinzu kommt der Kritikpunkt, dass einige Spiele im Stream versteckt und dort auch mal wieder sehr oberflächlich behandelt wurden. Ich habe das Gefühl, dass vieles von diesem Turnier in Deutschland nicht ankommt oder untergeht. Das ist schade.

Mysterium der EM

Die Niederländerinnen sind nicht in Bestform. Das deutete sich schon vor dem Turnier an. Deshalb ist es nicht überraschend, dass sie sich ihre sieben Punkte hart erkämpfen mussten. Gegen die Schweiz standen sie trotz eines späten 4:1-Erfolgs sogar mehrfach kurz vor dem Aus. Nun werden sie auf Frankreich treffen. Wenig stimmt mich positiv für Oranje.

Wenn sie mussten, konnten sie in der Offensive durchaus guten Fußball zeigen. Viel zu oft aber spielten sie mit angezogener Handbremse. Als würden sie das Risiko scheuen. Für mich ist das ein großes Rätsel, denn potenziell haben sie einen tollen Kader mit einer sehr guten Mischung. Ich wünsche mir von der Niederlande, dass sie gegen Frankreich befreiter spielen. Chancenlos sind sie nicht. Aber es wird sehr, sehr schwer.

Zwischenfazit der Gruppenphase: Die Tops

Außenseiterinnen überzeugen in der Gruppenphase

Finnland, Belgien, Island, Portugal, mit Abstrichen die Schweiz und Österreich, selbst Nordirland – die Außenseiterinnen waren bei diesem Turnier sehr stark. So richtig unter die Räder kamen sie hin und wieder dann doch, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie ausschließlich Kanonenfutter sind.

Nun ist Österreich sicher weniger in der Außenseiterinnenrolle als Nordirland, aber all diese Nationen zählen aktuell nicht zur Weltspitze. Ich fand es bemerkenswert, wie schwer sie den Favoritinnen das Weiterkommen gemacht haben, es im Fall der Österreicherinnen gegen Norwegen sogar verhindert haben. Chapeau an die vermeintlich “Kleinen”!

Überraschung der bisherigen EM

Belgien ist wohl die größte Überraschung. Zwar wurde diesem offensivstarken Team im Vorfeld durchaus zugetraut, dass sie sich gegen Island und Italien durchsetzen, aber defensiv gab es einige Fragezeichen. In den drei Partien hat Belgien jetzt nur drei Gegentore kassiert, zwei davon gegen Frankreich. Eine Top-Leistung.

Das Team von Trainer Ives Serneels hat gezeigt, dass es den Offensivdrang ausbalancieren kann. Und das hat die Belgierinnen im Verbund mit etwas Glück ins Viertelfinale getragen. Dort wartet nun Schweden, die sich aus dem Spiel bisher schwer damit getan haben, Chancen zu erspielen und zu nutzen. Müsste ich wetten, würde ich auf Schweden setzen. Hundertprozentig sicher wäre ich mir da aber nicht.

Top-Teams der Gruppenphase

  • Frankreich: Kein anderes Team geht in der Offensive derart geschmeidig durch die gegnerischen Defensivreihen wie die Französinnen. Das ist ein unglaubliches Niveau. Wie mit dem warmen Messer durch die vegane Butter. Defensiv und vor allem im defensiven Umschalten gibt es noch ein paar Fragezeichen zu klären – leistungstechnisch aber für mich aktuell die Top-Favoritinnen.
  • England: Taktisch und technisch kommen die Engländerinnen direkt hinter Frankreich. Gruselig ist, dass ich das Gefühl habe, sie hätten noch nicht alles gezeigt. Aber es gibt auch Schwächen, die eine Rolle spielen könnten.
  • Deutschland: Taktisch und technisch nicht so sauber und elegant wie Frankreich oder England, aber mit einem beeindruckenden Willen und einer Durchschlagskraft, die einmalig ist. Diese Wucht kann sie noch sehr weit tragen.

Top-Spielerinnen der Gruppenphase

  • Georgia Stanway: In Englands sehr starkem Team sticht sie aus meiner Sicht nochmal heraus. Das liegt auch daran, dass einige Offensivspielerinnen bisher etwas wechselhaft in ihren Leistungen sind. Stanway aber ist das Bindeglied zwischen Defensive und Offensive. Sie holt sich Bälle tief ab und bestimmt dann das Tempo mit ihrer Dynamik. Das macht richtig Spaß. Mal sehen, wie sie sich gegen Spanien schlägt.
  • Marina Hegering: Die Bank der deutschen Defensive. Ein kleiner Fehler gegen Spanien, aber ansonsten unfassbar stabil. Antizipiert viele Situationen genau richtig und gewinnt viele wichtige Zweikämpfe. Sie organisiert und ordnet. Im Spielaufbau ist sie zudem eine echte Waffe.
  • Wendie Renard: Diese Frau hat eine unfassbare Präsenz. Was ihren Leistungen bisher noch fehlt, ist, dass sie aus ihren Kopfbällen bei Standards noch mehr macht. Ansonsten hält sie die manchmal wackelige Defensive Frankreichs gut zusammen und glänzt darüber hinaus mit ihren Qualitäten im Spielaufbau.

Top-Elf der Gruppenphase

Die Top-Elf der bisherigen EM im 3-4-2-1: Zinsberger - Mapi León, Renard, Hegering - Gwinn, Stanway, Angeldal, Karchaoui - Mead, Asllani - Popp
Meine Trainerin der Gruppenphase: Martina Voss-Tecklenburg

Eigentlich hätte ich ein 4-3-3 bauen müssen, weil es DIE Formation dieser EM ist. Aber ich mag den Offensivfokus in der Berichterstattung nicht. Deshalb das 3-4-2-1.

Momente der bisherigen EM

  • Das Tor von Julie Nelson für Nordirland gegen Norwegen wird mir noch sehr lange im Kopf bleiben. Allgemein war der Auftritt der Nordirinnen sehr erfrischend. Das war definitiv das Highlight für dieses Team.
  • Alexandra Popp und ihre drei Tore – die Geschichte zu ihr ist bekannt. Es ist bemerkenswert, wie sie die Rolle als Ersatzspielerin akzeptiert hat und gegen Dänemark sofort lieferte. Gleichzeitig ist es eine starke Leistung, nach der Coronainfektion von Lea Schüller auf den Stammspielerinnenmodus umzuswitchen. Drei Tore in drei Spielen – eine echte Popp-Leistung.
  • Die vielen stimmungsvollen Momente. Es wird so viel in den sozialen Netzwerken geteilt – von Spielerinnen und Fans. Das macht einfach Spaß. Tanzende Österreicherinnen und Deutsche, nordirische Fans, die mit England feiern, Niederländer:innen, die ein ganzes englisches Dorf einnehmen, Schwedinnen, die mit guter Laune ihr Team feiern, gute Interviews, so gut wie keine unfairen und unsportlichen Momente – eine bisher sehr tolle EM!

Erneuter Fortschritt im Leistungsniveau

Schon 2019 stellte die FIFA in einer Studie fest, dass der Fußball der Frauen schneller und athletischer geworden ist. Gut drei Jahre später würde ich mit bloßem Auge weitere Fortschritte attestieren wollen. Technisch, athletisch und taktisch sind die Teams besser geworden, die Leistungsspitze wird immer breiter. Auch bei den Torhüterinnen, wie ich hier aufgeschrieben hatte.

Umso mehr freue ich mich schon auf die K.-o.-Phase. Das Turnier ist schon jetzt große Werbung für den Fußball der Frauen. Morgen geht es weiter mit dem ersten Viertelfinale: England gegen Spanien. Hier könnt ihr euch etwas darauf einstimmen.

EM 2022: Die Viertelfinals im Überblick

Team 1Team 2Tag, Uhrzeit (Übertragung)
EnglandSpanienMittwoch, 21.00 Uhr (ZDF)
DeutschlandÖsterreichDonnerstag, 21.00 Uhr (ARD)
SchwedenBelgienFreitag, 21.00 Uhr (ARD)
FrankreichNiederlandeSamstag, 21.00 Uhr (ZDF)
Alle Spiele werden zudem auch bei DAZN übertragen.

Hör- und Leseempfehlungen

Hier geht es zur letzten EM-Notiz.

Bild: © Canva




Justin Kraft

Quereinsteiger im Bereich Sportjournalismus. Blogger, Podcaster, Autor. Taktik-, Team- und Spieler:innenanalysen sowie Spielberichte zählen zu meinen Kernkompetenzen. Mein Antrieb ist es, die komplexe Dimension des Spiels zu verstehen und meine Erkenntnisse möglichst verständlich weiterzugeben. Journalistisch. Analytisch. Fundiert.

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar placeholder

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert